Information Overload – Abwege und Auswege

Anläßlich des Information Overload Awareness Day am 12.08. habe ich mir einige Gedanken dazu gemacht, weil die Informationsüberflutung doch eine Tatsache ist, mit der wir tagtäglich konfrontiert werden und die die Effizienz unserer Arbeit vermindert. In einem Versuch wurde sogar festgestellt, daß ständige Ablenkung durch Emails und Telefonate einen schädlicheren Einfluß auf die Konzentration hat als Marihuana (dazu allerdings relativierend http://itre.cis.upenn.edu/~myl/languagelog/archives/002493.html).

Wie der dieser Bericht von Basex bezgl. Informationsflut aufzeigt, sind die damit zusammenhängenden Probleme bzw. deren Lösung durchaus relevant für den Erfolg eines Unternehmens: „… solving the problem of information overload as a competetive advantage“ (S. 15). Und es ist natürlich ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor (s. 10). „Considering the impact of interruptions on the enterprise, it is surprising that managers aren’t more concerned.“ (S. 11). Das trifft umsomehr zu, als auch bereits die private Informationsflut (Läuten von Privatmobiltelefonen, Erledigung der privaten Email-Korrespondenz während der Arbeitszeit etc.) das Arbeitsumfeld zu überschwemmen beginnt – auch das eine Sache, mit der ich tagtäglich konfrontiert werde.

Abwege: Einzelprobleme der Informationsflut

Vor nunmehr bereits zehn Jahren hatten wir in unserer Firma die Projekte „Informationsflut/fluss“ und „Unnotwendige Störungen“. Schon damals wurden Probleme zwar erkannt, aber längst nicht in den Griff gebracht.

„Informationsflut“ ist allerdings kein Einzelproblem, sondern ein Komplex von Problemen, den ich hier – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit Hauptaugenmerk auf das Medium „Email“ etwas zu strukturieren versuchen möchte.

  • Störende Unterbrechungen:
    Ständig eintrudelnde Emails, Telefonate etc. lenken uns von unserer Tätigkeit ab. Darunter kann einerseits die Qualität der Arbeit leiden. Andererseits kann dadurch die Dauer, an der man insgesamt an einer Aufgabe arbeitet, verlängert werden, weil man ständig den roten Faden verliert, den man dann wieder aufnehmen muß (s. z. B. Czerwinski et al. Instant Messaging: Effects of Relevance and Timing, weitere Literatur dazu auf Interruptions.net).
  • Wahl der Mittel:
    Aufgrund der Unkompliziertheit, mit der Emails an Gott und die Welt verschickt werden können, wird dieses Medium oft als in jedem Falle probates Mittel angesehen, um Information weiterzugeben oder zu speichern. So landet oft Wissen unstrukturiert in den Datengruften von Mailservern und Archiven und geht somit de facto für den einzelnen oder das Unternehmen verloren.
    Damit zusammenhängend, aber eher als Kommunikationsproblem zu sehen ist die Art, wie man sich Information beschafft (oder in weiterem Sinne eben „kommuniziert“). Auch hier wird oft das Email als Allheilmittel angesehen.
  • Qualität der Information:
    Konfrontation mit Information wird oft als belastend empfunden, wenn die Qualität der Information schlecht ist, was dann oft mit Quantität ausgeglichen wird. Um einen Begriff der Elektrotechnik zu gebrauchen: die SNR (Signal to Noise Ratio) ist sehr gering; das Rauschen ist im Verhältnis zum Signal sehr hoch. Das trifft sowohl für z. B. das einzelne Mail zu (hundert Zeilen von Signature, Disclaimern etc. auch im internen Mailverkehr gegenüber einer Zeile Information) als auch für die Gesamtheit des Mailverkehrs zu (von hundert Emails etwa beinhalten nur 20 für mich relevante Informationen; es werden zu einem Thema drei Mails verschickt, weil der Absender es nicht geschafft hat, es gleich im ersten Mail erschöpfend zu behandeln).
    Ein Aspekt der Qualität einer Information kann auch die Art sein, in der sie vermittelt wird (s. oben „Wahl der Mittel“), wenn man etwa mit ihr jetzt konfrontiert wird, obwohl man sie jetzt nicht benötigt (sondern vielleicht später oder überhaupt nicht).
    Eine weitere Facette der Informationsqualität ist die Auswahl der Informationsempfänger. Wer ungebeten Information bekommt, die er nicht benötigt, für den verliert der übermittelte Inhalt den Charakter von Information, es wird zum „reinen Rauschen“.

Auswege: Möglichkeiten zur Bekämpfung der Informationsflut

Sowohl die Kosten, die durch ineffiziente Informationsübermittlung und Kommunikation verursacht werden, als auch der Wettbewerbsvorteil, den Erkennung und Lösung der Probleme verschaffen können und in der Regel schon aufgrund eines schnelleren „korporativen Reaktionsvermögens“ (das gerade in Krisenzeiten essentiell sein kann) auch werden, sollten deutlich machen, daß es sich nicht mehr um ein theoretisches Problem handelt. Folgende Vorschläge zur Lösung oder Minimierung der angeführten Probleme könnten die Informations- und Komminikationsstruktur und –kultur verbessern:

  • Störende Unterbrechungen:
    Durch Tools wie z. b. GroupBar könnte für Computerarbeiten diese Zeitspanne der Wiederaufnahme reduziert werden.
    Am besten ist es aber natürlich, gleich gar nicht zu stören. Eine Möglichkeit, Unterbrechungen von vornherein zu unterbinden, wäre z. B. das Beenden von Email-Clients (Outlook), Instant-Messaging-Diensten und das Abschalten bzw. Umleiten von Telefonen (z. B. Umleitung auf Textmeldung „Bitte nicht stören“) während der Zeit konzentrationsintensiver oder kritischer Aufgaben.
    Denkbar wäre auch eine Art von Ampelsystem (ähnlich dem Status bei z. B. Windows Messenger), das anzeigt, ob ein Kollege gerade gestört werden kann oder nicht.
    Eine Binsenweisheit, die nichtsdestoweniger leider viel zu wenig beachtet wird, steht auch schon im Protokoll zum erwähnten Firmenprojekt „Unnotwendige Störungen“ ganz dick „GRUNDSÄTZLICH SOLLTE JEDER, BEVOR ER ZUM HÖRER GREIFT, UM JEMANDEN ZU FRAGEN, ÜBERLEGEN, OB ER SELBST DIE ANGELEGENHEIT LÖSEN KANN (etwa durch nachsehen etc). LERNEFFEKT! ANSTATT UNNÖTIGER IMPROVISATION (=Zeitverlust) MEHR PLANENDE ORGANISATION.
  • Wahl der Mittel:
    Wenn Information übermittelt wird, dann ist zu hinterfragen, wozu diese Information dient bzw. welcher Art die Information ist. Bei der Menge an Tools wie WIKIS, Blogs, CMS etc., die heutzutage mehr oder weniger kostenlos (z. B. als Open Source) zur Verfügung stehen, ist Email in vielen Bereichen bereits ein Anachronismus.
    Zur Übermittlung von nur punktuell (also etwa nur für einen bestimmten Auftrag) interessanten Informationen im Sinne üblicher Geschäftskorrespondenz ist Email sicher ein geeignetes Medium, die Speicherung sollte dann aber nicht im Postfach der Benutzer erfolgen, sondern z. B. in einem Archivsystem wie etwa dem bei uns im Aufbau befindlichen Easy Documents.
    Will man hingegen Wissen (im Sinne von Know How) vermitteln, dann ist es besser in einem Wiki aufgehoben. Allenfalls könnte ein Link auf den Wikiartikel per Mail versendet werden (keinesfalls der Inhalt selbst, denn der ist idR dynamisch und kann bereits nach Sekunden vom Wiki-Eintrag abweichen!), aber selbst das ist kaum nötig, bestenfalls bei neuen Artikeln. Bei existierenden Artikeln könnte jeder User selbst einstellen, bei Änderungen verständigt zu werden.
    Unterliegt die Information oftmaliger Änderung, wobei es wichtig ist, den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt nachzuvollziehen, wäre auch ein Dokumentenmanagementsystem geignet.
    „Wissen im Werden“ – also etwa Diskussionen von Projektgruppen über ein Theme – würde, wie der Name schon sagt, in Discussion Boards gehören und nicht in endlose Mailketten.
    Was die Wahl der Mittel für die Informationsbeschaffung (bzw. Kommunikation) betrifft, gilt Ähnliches.
    Eine Aufgabenanfrage etwa mit Terminisierung und Prioritätseinstufung ist geeigneter als ein Mail des Inhalts „Kannst Du mir bitte bis ….. das und das machen ….“.
    Eine Termineinladung ist selbstverständlich stets einem normalen Mail vorzuziehen.
    Und oftmals ist sicher ein kurzes Telefonat oder persönliches Gespräch effizienter als Email-Ping-Pong.
    Dazu noch eine Schlußfolgerung aus unserem Projekt Informationsflut/fluss (2.7.1999): „Daher ist es auch am effizientesten ein Mail zu verschicken mit genauer Angabe, wo Info am Netz zu finden ist (Lerneffekt). Wenn nur eine Person von einer Informationsweitergabe betroffen ist, ist ein persönliches Gespräch zur Eindämmung der Infoflut und Förderung der Kommunikation angebracht. Wird eine Info telefonisch überbracht, wird dies selten als Störung betrachtet. Im Gegensatz zu Info telefonisch fordern; in diesem Falle sollte man sich Gedanken über Wichtigkeit/Dringlichkeit machen und gegebenenfalls lieber ein Email verfassen.
  • Qualität der Information:
    Hier gibt es keine Patentrezepte oder Tools. Die Verantwortung des einzelnen, des „Facharbeiters“ ist gefragt. Er muß abschätzen können, WAS er WEM am besten WIE vermittelt, er wird auch dementsprechend bezahlt. Vollständige Problemstellung, Konzentration auf das Wesentliche, Vermeidung von Rückfragen, Setzen von Terminen, das alles scheint so selbstverständlich und wird dennoch oft genug ignoriert.

Ein Beitrag zur Erhöhung der Informations- und Kommunikationseffizienz könnte ein verbindlicher Verhaltenskodex (ein Teil ist ja ohnehin in unserem Primero abgebildet) für Emails, Telefonate etc. sein. Offenbar geht der Wunsch nach solchen Richtlinien auch von den Usern aus (s. z. B. Wir brauchen eine E-Mail-Kultur). Solche Richtlinien können in etwa so aussehen.

Ein Vorschlag

Einen solchen Kodex könnte man auch negativ formulieren, etwa in folgender Manier (hier sind viele Untugenden vertreten, die mir bisher untergekommen sind und mir noch immer in nicht zu unterschätzender Häufigkeit unterkommen):

  • Schreib einfach drauf los. Überleg dir nicht lange, was du überhaupt sagen willst, verzichte auf langwierige Strukturierung durch Absätze und die Auseinandersetzung mit korrekter Syntax, Grammatik und Orthographie. Der Empfänger wird schon wissen, was du meinst, so dämlich ist er ja nun auch wieder nicht.
  • Formuliere dein Anliegen so verschwommen wie möglich. Erspare dir Details wie z. B. Auftrag-, Bestell- oder Artikelnummern. Wenn der Empfänger das wissen will, dann wird er sich schon melden.
  • Verschwende keine Zeit auf einen aussagekräfigen Betreff, schreib einfach irgendwas oder einfach gar nix, wenn dir nix einfällt. Der Empfänger kann sich dann immer über die Überraschung freuen, was denn in dem Mail nun wohl drinsteht.
  • E-Mail-Betreffs sind sakrosankt. Wenn du ein Email weiterleitest oder auf eines antwortest, dann ändere den Betreff keinesfalls, auch wenn das, was du schreibst, überhaupt nichts mehr damit zu tun hat, und stelle dir am besten das ratlose Gesicht des Empfängers vor, der nun rätselt, was man nun von ihm will.
  • Schicke sicherheitshalber immer alle Mails an möglichst viele Leute. So steigt die Wahrscheinlichkeit, daß sich irgendjemand um dein Anliegen kümmert. Außerdem kriegen dann umsomehr Leute mit, wie geschäftig und wortgewaltig du bist.
  • Sorge dafür, daß auch interne Mails nicht schmucklos herumgeschickt werden. Lass daher die komplette Signatur, alle Disclaimer, Einladungen für die Technologietage etc. drin, dann wirkt das Mail gleich wichtiger und gewichtiger. Außerdem freut sich der Mailserver, daß er jetzt mehr Platz verbrauchen darf.
  • Verschicke Dateien als Anhang und nicht als Links. Dadurch stellst Du sicher, daß sich der Anhang nicht ändert, auch wenn er längst überholt ist. Außerdem bekommen dann alle Empfänger ihre eigene Kopie in ihrer Mailbox, und wieder darf sich der Mailserver über den Mehrverbrauch an Plattenplatz und den Performanceverlust freuen, wenn 4-GB-Präsentationen an 50 Mitarbeiter verschickt werden.
  • Rufe den Empfänger sofort an, nachdem Du ihm ein Mail geschickt hast, und frage ihn, ober es eh bekommen hat, was er dazu sagt und warum er denn nicht antwortet. Es gehen ja soviele Mails verloren auf dieser schlechten Welt!
  • Warum solltest du die seit Outlook/Exchange 2007 vorhandene Möglichkeit nutzen, den Abwesenheitsassistenten automatisch ein- und auszuschalten? Du hast das immer schon händisch gemacht und dann das Ein- oder Ausschalten vergessen. Warum sollte das jetzt anders sein? Außerdem ist es auch gar nicht nötig, an die Leute in der eigenen Organisation eine andere Abwesenheitsnachricht zu senden als an externe.
  • Am besten verbringst du einen Großteil Deiner Zeit damit, dich von Email-Verständigungen wie Popup-Meldungen, abgespielte Sounds und Briefchensymbole in der Taskleiste von deiner Arbeit ablenken zu lassen. Versuche doch, ein neues Email noch vor der Popupmeldung aufzumachen. An die Möglichkeit, deinen Mail-Client bei einer konzentrationsintensiven Tätigkeit einfach zu schließen, solltest du nicht mal denken!
  • Schreib auf jeden Fall ein Email, auch wenn Du weißt, daß ein kurzes Telefonat effizienter wäre. Der Empfänger freut sich sicher über deine lustigen Tip- und Rechtschreibfehler!
  • Versuche einen möglichst großen Posteingang zu bekommen. Je mehr Mails, desto besser!

Conclusio

„Informationsflut“ ist ein ernstzunehmendes Problem, kein abstrakter Feind, der nur in Statistiken, IT-Gehirnen oder Orwell-Szenarien existiert. Wer das heute noch glaubt, könnte sich morgen wundern.

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Datum: Donnerstag, 12. August 2010 0:00
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